Josef Reding
„Heimat ist die Umwelt, in der ich mich nach Begabung und Willen als Mensch verwirklichen kann.“
Reding und das Ruhrgebiet
Seine Herkunft hat Josef Reding (1929-2020) immer betont. Noch als Dreißigjähriger lebte er in der alten Arbeiterwohnung seines verstorbenen Vaters und schrieb dort über das Ruhrgebiet, seine Generation, schrieb vor allem aber über die Ungerechtigkeiten, die ihm begegneten. Sein Werk zeichnet sich durch ein konkretes soziales Engagement aus, das in einem pragmatischen Katholizismus wurzelt. Es umfasst zahlreiche Erzählungen, Gedichte, Hörspiele, Lied- wie Filmtexte. Trotz Studiums in den USA und zahlreichen Schreib- und Rechercheaufenthalten in Asien, Afrika und Lateinamerika blieb Reding dem Ruhrgebiet zeitlebens verbunden. Seine Texte verharren nie bei der Arbeiterwohnung in Castrop-Rauxel, beziehen diesen Erfahrungshintergrund jedoch beständig mit ein – auch dann, wenn der Autor über Geschichte nachdenkt, Utopien entwirft oder auf andere Kontinente blickt.
Josef Reding, Foto: privat
Kindheit und Jugend
Als Reding 1929 in Castrop-Rauxel geboren wurde, arbeitete sein Vater als Filmvorführer und Betonarbeiter. Reding wuchs in der Arbeitersiedlung auf und sah zahlreiche Filme. Kunst und Arbeit lagen in der Jugend nah beieinander. Nachdem er als Fünfzehnjähriger im Volkssturm eingesetzt wurde, geriet Reding in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nicht nur biografisch, auch literarisch sollte dies entscheidend werden: Amerikanische Soldaten überließen ihm ihre Lektüre und so lernte er die klassische Short Story kennen, die er später adaptierte.
Seinen Hang zur Kurzgeschichte begründete Reding einmal mit der Ähnlichkeit zur Kommunikationsweise der Menschen des Ruhrgebiets: „In dieser Landschaft herrscht im sprachlichen Umgang das Knappe vor, eine anziehende Sprödigkeit des Ausdrucks. Der Gesprächspartner, der Kumpel, bekommt nur weniges mitgeteilt und muss sich auf manche karge Anspielung seinen ‚eigenen Reim‘ machen, muss also mitdenken, mitdichten.“
Jugendbücher und Sozialkritik
Nach dem Krieg arbeitete Reding zunächst in einer Ziegelei und begann, avantgardistische und surrealistische Gedichte sowie Prosastücke zu schreiben. Der Tod seines Vaters (1950) bestimmte die folgenden Lebens- und Schreibjahre: Unmittelbar nach dem Abitur arbeitete Reding zwei Jahre lang als Betongießer, um Geld für sein Studium und den Unterhalt für seine Mutter und seine Geschwister zu verdienen. In dieser Zeit war er in intensivem brieflichen Austausch mit Ernst Jünger, dessen Literatur er verehrte. 1951 schreibt er ihm: „Die Arbeit ist zwar hart und schwer, aber sie läßt den Gedanken Spielraum – und es ist ja so vieles zu bedenken.“
Redings erstes Buch Silberspeer und Roter Reiher (1952) versammelt „große Jungenabenteuer in einer kleinen Stadt“. Seine Hinwendung zum Jugendbuch führte Reding auf den Tod seines Vaters und die familiären Verpflichtungen zurück: Eine Flucht „in die klare, straffe Formung und Durchführung eines Themas.“ Die „Überwindung des Jugendbuchstadiums“ gelang ihm nach eigener Aussage erst 1955 als Helfer im Grenzdurchgangslager Friedland. In der Baracke C3 des Lagers schrieb er seine Chronik der großen Heimkehr (Recklinghausen 1956). Dass auch Massenmörder und Kriegsverbrecher heimkehrten wird in Redings Chronik verharmlost, die Heimkehr religiös aufgeladen. Die Auseinandersetzung mit der ‚Nachkriegsheimat‘ gelang ihm nicht. Seinen politisch-literarischen Ton fand Reding erst in den folgenden Jahren.
Neue Helden
Während seiner Studienzeit in den USA hatte Reding Kontakt zur beginnenden Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King aufgenommen und sich mit Rassismus auseinandergesetzt. 1957 erschien sein Kurzgeschichtenband Nennt mich nicht N*, der bis heute zu seinen bekanntesten Werken zählt und ihm den Spitznamen „Hemmingway des Ruhrgebiets“ (Hilmar Klute) einbrachte. Im Vorwort schreibt Reding über seine Erfahrungen im Nationalsozialismus und seinen Blick auf die US-amerikanische Rassentrennung: „Und ich wusste, daß meine Anklagen von 1945 nichtig waren, wenn ich jetzt nicht handeln, Flagge zeigen würde.“ Die Protagonist*innen seiner Short Storys sind von nun an häufig Arbeiter*innen, Kinder und rassifizierte
Personen, die sich im Verlauf des Plots selbstermächtigen, ihr Aufbegehren ist die Pointe. Über die regelmäßigen Publikationen in diversen Tageszeitungen suchte Reding in den folgenden Jahren die öffentliche Aufmerksamkeit für Diskriminierungen innerhalb und außerhalb der Betriebe. Seine Sensibilität richtete sich dabei auf Menschenfeindlichkeit jeder Ausprägung: In seinen Gedichten, Prosatexten und Kurzessays benennt er gleichermaßen die öffentliche Verachtung von Arbeitsmigrant*innen und Arbeitslosen wie die Herabsetzung von Jugendlichen, prangert Antisemitismus wie Ableismus an. Sein Standpunkt blieb stets christlich, sein Schwerpunkt die sozialen Schieflagen.
Dortmund und die Welt
1961 nahm Reding gemeinsam mit dem damaligen Leiter der Dortmunder Stadtbücherei Fritz Hüser, dem Gewerkschafter Walter Köpping und dem Schriftsteller Max von der Grün sowie weiteren schreibenden Kolleg*innen an den Treffen des Arbeitskreises für künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Arbeitswelt teil, die als Gründungsstunde der Dortmunder Gruppe 61 gelten. Diese wollte nicht nur schreibende Arbeiter*innen unterstützen, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt und ihren sozialen Problemen literarisieren.
In den 1960er Jahren hielt Reding sich erneut in den USA sowie in Asien, Afrika und Lateinamerika auf. In seinem Fokus blieben die sozialen Missstände. In Fernsehdokumentationen berichtete er über Armut und Hunger in den von ihm bereisten Regionen. Er veröffentlichte Tagebuchsprosa, Reservate des Hungers (1964) und Wir lassen ihre Wunden offen (1965), berichtete von seinen Eindrücken und forderte ein lebenswertes Dasein für alle Menschen der Erde.
Die Fotos, die er auf seinen Reisen machte, finden sich im Nachlass. Ein Beispiel ist hier zu sehen: „Menschen im Müll“
Mit historischem Abstand betrachtet, haben Redings Texte an Zeitgenossenschaft eingebüßt. Reding entkommt der zeittypischen Figur des ‚White Savior‘ nicht immer und reproduziert nicht selten genau die Rassismen strukturell, gegen die er sich expressis verbis wendet. Sein Engagement für Frieden und Gleichheit bleibt dennoch ein ernstzunehmender Beitrag zu einer progressiven Kulturgeschichte, seine Texte beanspruchen weiterhin mit Recht einen wichtigen Platz in der Literaturgeschichte seiner Herkunftsregion.
Bücher
- Silberspeer und Roter Reiher. Große Jungenabenteuer in einer kleinen Stadt, Recklinghausen 1952
- Trommlerbub Ricardo/Trommler Ricardo, Recklinghausen 1954
- Wetbacks am Rio Grande, Gütersloh 1954
- Froschmänner und Feuerspringer, Recklinghausen 1955
- Löschtrupp Larry fällt vom Himmel, Gütersloh 1955
- Achtung – Autobanditen!, Gütersloh 1956
- Friedland, Recklinghausen 1956
- wer betet für judas?, Recklinghausen: Paulus Verl., 1958
- Die Harlem-Story, Kassel 1960.
- Der Tod auf der Straße, Freiburg 1960 [im selben Jahr erschien eine gleichnamige Sprechplatte]
- Die Minute des Erzengels. Drei Weihnachtsgeschichten, Recklinghausen 1963 [gem. mit Paul Reding als Illustrator]
- Erfindungen für die Regierung, Augsburg 1962
- Die Jäger kommen zurück, Emsdetten 1963
- Papierschiffe gegen den Strom, Recklinghausen 1963
- Reservate des Hungers. Tagebuch, Recklinghausen 1964
- Zum Runterschlucken für Grabner, 1967
- Zwischen den Schranken, Baden-Baden 1967
- Die Anstandsprobe, Wuppertal 1973
- Sie nannten ihn Padre, Wuppertal 1974
- Pestkahn „Stella Maris“, Balve 1975
- Tim, König der Rodeos, 1975
- Ach- und Krach-Texte (gem. mit Paul Reding), Balve 1976
- Polizeieinsatz in Alaska, Balve 1977
- Gold, Rauhreif und Möhren, Recklinghausen 1981
- Sprengt den Eisberg und andere Abenteuer, Balve 1981
- Friedenstage sind gezählt, Freiburg 1983
- Vater macht den Flattermann, München 1984
- Dortmund im Umbruch, Herzberg 1985
- Und die Taube jagt den Greif- Kurzgeschichten für heute, Freiburg im Breisgau 1985
- Es fällt in mich ein, Stuttgart 1986
- Der Mensch im Revier – Essays, Köln 1988
- Nicht nur in der Sakreistei- Andere Ministrantengeschichten, Düsseldorf 1988
- Ein Scharfmacher kommt- Kurzgeschichten, Recklinghausen 1989
- Tiere sprechen Dich an (mit Paul Reding), 1993
- Der Automat und der Tramp, Würzburg 1995
- Bei Gott kann man nicht petzen, Würzburg 1999