von Özlem Özgül Dündar

Im Jahr 1973 richtet Josef Reding einen offenen Brief an seine schreibenden Kolleg:innen, in dem er eindringlich auf die ungerechte Verwertung seiner Werke hinweist: „Jeder Vertrag, den ich als Schriftsteller mit dem Rundfunk, dem Fernsehen, den Verlagen unterzeichne, macht mir die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Rechten an meiner Arbeit und Gewinnen aus meiner Arbeit seitens des Vertragspartners schmerzhaft deutlich. Ich muss mich in den meisten Fällen Honorardiktaten ausliefern, die man mir, wenn ich sie kritisiere, ‚als auch von Nobelpreisträgern akzeptiert‘ schmackhaft zu machen versucht.“ Finanzielle Fragen waren für Reding stets ein zentrales Thema. In seiner Funktion als Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller setzte er sich maßgeblich für dessen Beitritt zur Gewerkschaft ein und engagierte sich kontinuierlich für eine faire Entlohnung literarischer Arbeit. Auch heute noch stellt sich für Autor:innen die Frage, wie sie von ihrem Schreiben leben können. In ihrem Text begibt sich die Schriftstellerin Özlem Özgür Dündar für uns auf die Suche nach dem Geld im Literaturbetrieb.

Mit Literatur kann man nichts verdienen! Diese Aussage war für mich keine Enttäuschung, als ich mit dem Schreiben anfing. Als ich mit dem Schreiben anfing, war meine hauptsächliche Motivation in spannende Welten einzutauchen, die ich erfinden kann, und Handlungen und Figuren, die ich entwickeln kann, wie ich will, zu schreiben. Genau solche Geschichten schreiben, wie ich sie mochte. Eben solche Geschichten, die mein damals zehnjähriges Ich gerne gehört und sich vorgestellt hat. Ich wollte dramatische Katastrophenszenarien schreiben und das tat ich auch, als ich zehn war. Zu keiner Zeit beim Schreiben habe ich explizit an Geld gedacht. Erstens war ich erst zehn.  Zweitens dachte ich damals an viele verschiedene Berufe und nicht nur an die Schriftstellerei. Drittens muss ich gestehen, dass das Geldverdienen mit dem Schreiben für mich damals etwas war, bei dem ich einfach annahm, dass ich natürlich Geld verdienen werde, denn ich würde ja mit meinem Schreiben eine Leistung erbringen, die vom Publikum angenommen wird. Dass ich Geld verdiene mit Texten, die ich schreibe, wenn diese gut und spannend geschrieben sind. Ich bin als zehnjähriges Mädchen auch ganz automatisch davon ausgegangen, dass ich Romane schreiben werde. An Gedichte oder Theatertexte oder Hörspieltexte oder Essays hab ich mit meinen zehn Jahren in keiner Weise gedacht und wenn ich ganz ehrlich bin, wusste ich nicht einmal, dass es Gegenwartslyrik oder Gegenwartstheatertexte überhaupt gibt oder dass ein Hörspiel natürlich auch eine Textgrundlage haben muss. Diese Einzelheiten hab ich mit zehn nicht bedacht. Stopp! Kurze Pause! Ich glaube, ich muss mich revidieren! Je mehr ich mich beim Schreiben dieses Essays mit dem Gedanken beschäftige, wann eigentlich die Frage nach dem Geldverdienen mit den eigenen Texten kam, desto mehr stärkt sich die Vermutung in mir, dass ich es einfach als gesetzt angenommen habe. Als zehnjähriges Mädchen, die spannende Geschichten schreibt, ja klar verdient man Geld damit! Ich schreibe doch voll spannende Romane, klar verdiene ich damit Geld, wenn ich groß bin!! Klar verkaufen sich meine Bücher in der ganzen Welt! Das Schreiben und das liebe Geld! Als ich älter wurde und schrieb, sah die Sache anders aus, da ich immer mehr Lyrik schrieb oder Kurzprosa. Die Romane, die ich mir so selbstverständlich vorgestellt hatte, blieben aus und lange war es mir ein Rätsel, wie man mit dem Schreiben irgendetwas verdienen kann, außer Applaus. Vom Verkauf der Bücher lässt sich nichts verdienen, hieß es. Die Einnahmen würden die Kosten nicht abdecken, hieß es. Von einem Gedichtband würden sich keine 100 Exemplare verkaufen, hieß es. Und diese Worte wurden immer begleitet von einem Schmunzeln oder einem kleinen mitleidigen Lächeln. Es steckte auch immer Resignation in dem Schmunzeln und Lächeln. Es steckte mit drin, dass ich meine Erwartungen ganz weit herunterschrauben sollte. Und das tat es.

Ich drehte meine Erwartungen ganz weit herunter. Man müsse einen Brotjob haben, hieß es. Man könne nur Literatur machen, wenn man ohnehin schon genug Geld habe, hieß es. Manch einer sprach davon, dass man ‚privilegiert‘ sein müsse. Also, ich müsse in den Schoß solch reicher Eltern geboren sein, dass ich nicht arbeiten müsse, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann könne ich mein Leben nur der Literatur widmen, hieß es. Und ich drehte meine Erwartungen noch weiter herunter. Poesie bringe gar nichts ein, hieß es. Gedichtbände würden nur von anderen Dichter:innen gekauft werden. Die Lyrikszene schreibe sozusagen nur für sich selbst, hieß es. Man sei Dichter:in und Käufer:in von Dichtung zugleich, hieß es. Es gäbe keine anderen Käufer:innen von Dichtung als eben die Dichter:innen, die den Kram geschrieben haben, hieß es. Ich malte mir einen Kreis aus von anderen Dichter:innen und mir, die schreibt und Bücher mit Dichtung veröffentlicht, und wie meine Bücher von anderen Dichter:innen gekauft werden, während ich gleichzeitig ihre Gedichte kaufe und wir uns nur um uns selbst drehen und ein albernes Spiel spielen, in dem wir nur so tun, als ob wir als Produzent:innen nicht wüssten, dass wir unsere einzigen Käufer:innen seien. In dem wir in einem Kreis uns drehten, um unser selbst willen. Um uns selber am Leben zu halten oder wenn auch nicht ganz so dramatisch, dann doch um uns selber in einer Illusion zu halten. Und ich dachte, wie albern ich mich selbst finde und ja wie albern Menschen im Allgemeinen doch sind, nur um Anerkennung erhaschen zu können, diesen absurden Reigen tanzen. Und das alles in vollem Bewusstsein, dass es ein absurder Reigen ist. Und ich schrieb und schrieb weiter mit einem Kreis im Kopf, mit mir und den anderen Dichter:innen jung und alt, die ich kannte, und dachte, ich schreibe nur für mich selbst und vielleicht drei andere. Und ich schrieb Gedichte und kaufte Bücher mit Gedichten und irgendwann schrieb ich Gedichte, publizierte Gedichte und kaufte wieder Bücher mit Gedichten. Und so machten es die anderen, die auch Gedichte schrieben eben auch, dachte ich. Und sonst keiner, dachte ich, denn so hieß es.

Geld verdienen in diesem Tanz schien mir illusionistisch. Wo in dem Tanz ist das Geld zu finden, fragte ich mich? Ich zahle zehn Euro für ein Buch und im Gegenzug kriege ich zwei Euro vom Verkauf meines eigenen Buchs. Das ist das reinste Verlustgeschäft. Würde ein BWL-Mensch oder irgendeiner, der nicht Dichtung schreibt, die Lyrikszene beobachten, würde er oder sie uns völlig abgedreht finden, als ob wir in einer Parallelwelt leben, ganz und ganz am ‚wahren‘, ‚echten‘, ‚ernsten‘ Leben vorbei.

Der Kuchen ist nicht so groß, aber es gibt viele, die davon essen wollen, und die Dichter:innen sammeln nur die Krümel, die zufällig abgefallen sind.

Der Unterschied zwischen den Gattungen ist immens. Die Lyrikszene, in der ich angefangen habe in den Literaturbetrieb hineinzuschnuppern, repräsentiert den Betrieb nur in Miniatur. Das meine ich keinesfalls abwertend, sondern als reine Beobachtung von Quantität. Das heißt nicht, dass, wie es so oft heißt, die Dichter:innen nur für sich selbst schreiben und nur für sich selbst Bücher machen. Das glaube ich keineswegs und das bestätigt meine Erfahrung mit der Lyrikszene auch keineswegs. Solche Annahmen vergessen auch die große Rolle des Staates im Reigen. Der Staat, der für manche ein Vater oder eine Mutter oder eine non-binäre Elternfigur sein mag, ist mit am Tanzen. Das ist überall in der Welt so, aber vor allem in Deutschland. Ohne den Staat als Tänzer:in in diesem Reigen, von dem ich vorhin sprach, wäre alles noch viel viel kleiner, als es ist. Der deutsche Staat tanzt ordentlich mit. In Form von Stipendien, Preisen und Kulturförderungen, die mit staatlichem Geld bzw. dem Geld der Bürger:innen ich meine natürlich Steuergelder, finanziert werden. (Mal sehen natürlich, wie lange das noch so sein wird. Wenn ich die aktuelle politische Lage und die große Angst rechter Gesinnungen vor freiem Denken miteinbeziehe, dann wird der deutsche Staat seine elterliche Rolle gegenüber den Künsten bald nicht mehr so ernst nehmen, da freies Denken kein erstrebenswertes Gut für rechte Gesinnungen ist.) Dies gilt für die Lyrikszene mehr als für andere Szenen. Aber niemand würde der Lyrikszene ihre Förderung streitig machen wollen, denn alle wollen, dass es Lyrik gibt, auch wenn sie sie selbst nicht lesen oder kaufen, denn alle wollen, dass dieses Land das Land der Denker und Dichter ist und sie sind ganz leise stolz darauf, dass es in diesem Land Gegenwartsdichtung gibt und dass diese Szene zum Glück so leise vor sich hinlebt und macht und brütet und dass sie mit so wenig zufrieden ist und immer weiter macht, denn was wäre, wenn alle Dichter:innen plötzlich gewinnorientiert denken und aufhören würden zu dichten und Verse usw. zu brüten, dann könnte man nicht mehr stolz auf das Land der Dichter und Denker sein, dann gäbe es hier zu Lande nur noch Denker und das wäre langweilig.

Geld verdienen in der Prosaszene ist was ganz anderes. Auch da gibt es natürlich Staffelungen. Bei Kürzesttexten verdient man nichts, ganz so, wie es bei der Lyrik ist. Kürzestprosa wird oft gar unter dem Deckmantel ‚Lyrik‘ veröffentlicht, denn wenn man den tatsächlichen Prosaleser:innen Kürzestprosa verkaufen wollen würde, sie würden nicht verstehen, dass es Prosa ist. Also, schiebt man diese Form der Prosa lieber der Lyrikszene unter und tut so, als sei es Lyrik. Die Lyrikleser:innen lesen gerne auch mal kleine Prosatexte und glauben dabei, sie würden prosaische Lyrik lesen.

Dann gibt es in der Prosaszene die Kurzgeschichten-Schreiber:innen. Diese Form des Texts scheint ab und an ‚aufzublühen‘, so heißt es zumindest immer mal wieder im Literaturbetrieb, aber in Wahrheit, so glaube ich, ist es eine Verkaufsstrategie zu behaupten, es würde gerade wieder ‚aufblühen‘. Diese Schreiber:innen verdienen ebenfalls wenig mit ihrem Schreiben, aber sie können zumindest bei größeren Verlagen publizieren, denn von diesen Schreiber:innen erwartet man irgendwann den großen ‚Roman‘, der dann endlich Geld einbringen wird für den Verlag.

Dann gibt es in der Prosaszene auch Romanschreiber:innen, die ebenfalls nicht wirklich Geld verdienen, denn jeder Roman verkauft sich anders und jeder Verlag macht mehr oder weniger Vertrieb und so kann es kommen, dass man mit der ‚Königsdiziplin‘ unter den Prosatexten auch nichts verdient.

Wo also ist das Geld beim Schreiben? Irgendwo muss es sein! Es gibt schließlich diese Zahlen des Kunst- und Kulturbetriebs gemessen am Bruttoinlandsprodukt usw.

Auch Dichter:innen müssen essen. Auch Dichter:innen können nicht von Versen leben oder Verse kochen oder backen oder braten und auch nicht verkauen. Sie brauchen Proteine, Kohlenhydrate, Kalorien, Ballaststoffe, Vitamine, Fette usw., was man alles in Versen nicht findet.

Ich habe lange versucht nichts zu essen. Wortwörtlich nichts zu essen. Das geht! Es ist möglich nichts zu essen und trotzdem zu leben, aber es geht eben nicht für immer. Es geht so ein paar Tage. Solange man noch Wasser trinkt, geht es sogar ein paar Wochen. Dann ist aber Schluss. Irgendwann braucht der Körper Essen. Dagegen kann man nichts tun, das kann man nicht umgehen. Also, muss man essen, auch wenn man Dichter:in ist und nichts verdient. Ich habe dann eben viele andere Jobs gemacht. Bin irgendwie über die Runden gekommen, immer schlecht als recht. Es war immer mit viel Angst, Stress, Mahngebühren, Briefen und Briefen verbunden.

Irgendwann nach dem sehr langen Atem gab es dann auch mal Geld für eine Lesung, irgendwann gab es sogar Hotelübernachtungen und Fahrtkostenrückerstattungen. Irgendwann gab es sogar Anfragen für Lesungen. Irgendwann gab es sogar Anfragen für Texte. Und es gab sogar

Anfragen für Theaterstücke. Dank der großzügigen Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland gibt es Theater, die Stückaufträge vergeben. Und diese sind dann wirklich manchmal ganz gut bezahlt. Leider nicht immer.

Immer öfter hatte ich Einnahmen aus verschiedenen Schreib- oder eher Literaturjobs. Ich verstand zum ersten Mal so richtig, was das Wort „Mischkalkulation“ bedeutet. Es ist letztendlich ein Jonglieren von verschiedenen Tätigkeitsbereichen, die mehr oder weniger mit Literatur zu tun haben oder mit meinem eigenen Schreiben. Am Ende habe ich alle möglichen Verdienstformen mit Literatur durchlebt. Wie eine seltsame Schule des Schriftsteller:in-Seins in Deutschland. In anderen Ländern sieht das anders aus, da es dort den elterlichen Part beim Reigen nicht oder deutlich weniger gibt. Nun stellt sich die Frage, wie lange ich die Mischkalkulation jongliert kriege?

Über die Autorin:

Özlem Özgül Dündar, 1983 in Solingen geboren, schreibt Lyrik, Prosa, szenische Texte, Essays, performt mit ihren Kollektiven „Kanak Attak Leipzig“ sowie dem „Ministerium für Mitgefühl“ und ist als Herausgeberin sowie als Übersetzerin tätig. Für ihr Stück Jardin d’Istanbul wurde sie 2015 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet. Sie erhielt den Kelag-Preis in Klagenfurt und das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2018. Ihr Gedichtband gedanken zerren (2018) erschien beim Elif Verlag.

Ihr Stück türken, feuer war in der Produktion des WDR (Regie: Claudia Johanna Leist) Hörspiel des Jahres 2020. 2023 wurde ihr Monolog Mädchenschrift mit dem niederländisch-deutschen Kinder- und Jugenddramatiker:innenpreis Kaas & Kappes ausgezeichnet.