von Gertrude Cepl-Kaufmann
Welchen Anteil hatte Josef Reding an einer Geschichte der Dortmunder Gruppe 61 (DG61)? Das ist, zu Recht, umstritten. Im März 1961 hatte Fritz Hüser, der Direktor der Dortmunder Stadtbibliothek, Autoren und Publizisten eingeladen, die zum Thema Arbeit und moderne Industriewelt etwas zu sagen hatten. Es war ein weiteres der von ihm initiierten Projekte, z. B. der damals weitsichtig angelegten Handschriftenabteilung zugunsten der Kultur im Ruhrgebiet. Der in Castrop-Rauxel geborene und zu dieser Zeit in Dortmund-Löttringhausen lebende Josef Reding war dabei. Es lohnt sich daher, einmal näher hinzuschauen, was Reding mit dieser für die Nachkriegszeit der Bundesrepublik kulturhistorisch bedeutenden Initiative verband, doch auch, was ihn letztlich in bemerkenswerter Distanz gehalten hatte.
Warum es nicht die Gruppe 47 wurde
Einiges in Werk und Person sprach dafür, dass Josef Reding auch in der Gruppe 47 seinen Ort gefunden hätte. Immerhin verdankte die Gruppe ihre Existenz der Gemeinschaft der POW’s, der prisoner of war in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager. In Fort Kearny auf Rhode Island hatte ihnen die Siegermacht Amerika die Möglichkeit gegeben, eine demokratisch orientierte Zeitschrift für ein zukünftiges Deutschland herauszubringen. So entstand „Der Ruf. Zeitschrift der deutschen Kriegsgefangenen“. Ein zweiter „Ruf“ folgte, dann ein dritter. Immer wieder gerieten Redaktionsmitglieder in Auseinandersetzungen mit ihren Förderern und Finanziers, weil sie sich als Nazigegner nicht der geforderten Kollektivschuldthese unterwerfen wollten. Letztlich konnte sich das Redaktionsteam um Alfred Andersch und Hans Werner Richter bis in Zeit der Rückkehr nach Deutschland behaupten. Im namengebenden Jahr 1947 wurde aus einem Redaktionskomitee für eine nachfolgende, nun unabhängige Literaturzeitschrift unter den Titel „Der Skorpion“, die nicht über die Nullnummer hinauskam, eine Diskursgemeinschaft. Allzu offensichtlich war der Bedarf dieser Generation, statt feste Meinungen zu veröffentlichen, zunächst einmal Fragen zu stellen.
Als Schriftsteller waren sie bereit, sich gegenseitig zu kritisieren und zu motivieren, die angemessene Sprache für diese Zeit zu finden. Doch in Sachen Poetik waren sie sich sehr uneins, ja, die Gruppe 47 zeichnete sich durch eine breit angelegte Vielfalt ästhetischer Neuansätze aus. Dazu gehörte auch die Kurzgeschichte. Mit Kurzgeschichten reüssierten die ersten Autorinnen und Autoren, die einen Preis erhielten, unter anderem Ilse Aichinger und Heinrich Böll.
Auch Reding verdankt die positiven Bedingungen seines Lebens als Schriftsteller in der Nachkriegszeit dem Glück, nicht in sowjetische, sondern in us-amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten zu sein. Dort hatte auch er demokratische Werte erfahren, mit denen sich die eigene Sozialisierung im Dritten Reich produktiv überwinden ließ. Es ist bekanntlich die us-amerikanische short story, die ihn faszinierte. Mit den in schneller Folge entstehenden Kurzgeschichten hätte er wohl die Möglichkeit gehabt, sich um eine Einladung zu Hans Werner Richters Jahrestreffen zu bemühen bzw. diejenigen anzusprechen, die Richter damals beraten haben. Das hat er nicht getan.
Drei Gründe, die gegen Redings Teilhaberschaft an der Gruppe 47 sprechen
Die Kerngruppe der Gruppe 47 kam aus einem kommunistischen Milieu der Weimarer Republik – Richter selbst war Mitglied der KPD gewesen. Diese politische Extremposition hatte zwar für die Geschichte der Gruppe 47 kaum mehr eine Bedeutung, dennoch konnte der dort geführte Diskurs für Reding kaum verführerisch sein. Seine eigene Sozialisation hatte ihm eine stabile katholische Identität beschert, die er, bei aller Unsicherheit, die die Nachkriegsjahre boten, nie verloren hat.
Es gab eine alternative Möglichkeit, literarisch Erfolg zu haben: Bis weit in die Fünfzigerjahre hinein waren Dichtungen und Literatur aus einem eher konservativen Lager durchaus die marktbeherrschende Richtung. Autorinnen und Autoren der Inneren Emigration und einer zeitnahen Literatur der Lebensbewältigung stellten, wenn auch ohne Programm oder Gruppenbildung, eine beachtliche Größe auf dem Buchmarkt dar. Im Bereich Drama kamen sie oft aus dem Umfeld des in der Vorkriegszeit aktiven Bühnenvolksbundes und durchaus mit starkem Einfluss des in Mönchengladbach ansässigen Bildungswerks „Volksverein für das katholische Deutschland“. Dort vertrat der charismatische und literaturaffine Carl Sonnenschein eine christlich-soziale Politik, die schon Autoren wie Heinrich Lersch angesprochen hatte. Bis in die Mitte der Fünfzigerjahre konnten sich Autorinnen und Autoren aus diesem breiten und differenzierten literarischen Feld eines hohen Markterfolges sicher sein. Manche ihrer Werke, z. B. die
von Josef Winckler und Otto Brües, erschienen sogar als Reclam-Heftchen, ein Indiz für den hohen Verbreitungsgrad und eine entsprechende Käuferschicht, insbesondere Schulen.
Das wesentlichste Argument für Redings Selbstpositionierung kann man in der regionalen Identität finden. Die war ihm wichtig. Hier lag auch der phänomenale Bruch zwischen der Gruppe 47 und der Gruppe 61. Hatte jene, geradezu in Analogie zur politisch unruhigen, von Millionen von Migranten bestimmten Nachkriegszeit, nach wechselnden Trefforten gesucht und war mit Vorliebe in provinzielle Gasthäuser ausgewichen, brach nun eine Zeit an, die den festen Ort suchte. Mit der Benennung „Dortmunder Gruppe 61“ lieferte Hüser einen wichtigen Beitrag zu einer sich neuformierenden literarischen Landschaft. Hüser, der selber aus den kulturpolitischen Bewegungen der Weimarer Republik kam, bewies mit der Namenswahl ein besonderes Gespür für eine solche Kulturtopographie. Die Gruppenmatrix umschloss das Bekenntnis zu einem Aktionsraum, der seinerseits nur über die an ihn gebundene industrielle Arbeitswelt wahrgenommen wurde. Schon Walter Jens hatte in der Gruppe 47 das Thema Arbeit als Desiderat deklariert und moniert, dass die Schriftsteller sich allzu weit vom Großteil der Bevölkerung entfernten. Das stimmte, doch auch die Akzeptanz von Regionen, die sich durch industrielle Arbeit auszeichneten, fehlte – wie man mit Hüser und auch Reding sagen könnte.
Redings Position innerhalb der Dortmunder Gruppe 61
Fritz Hüser und Reding kannten sich. So stand Reding bereits auf der ersten Einladungsliste, mit der der Dortmunder Leiter der Stadtbibliothek nach Autorinnen und Autoren für seine geplante Initiative Ausschau hielt. Es galt, begabte Zeitgenossen, die keine genuine Anbindung an die kulturelle Szene hatten, zum Schreiben zu ermutigen und ihnen in der anregenden Gruppendiskussion neben dem Mutmachen auch Hilfe durch die eigenen Erfahrungen anzubieten. Hüser wollte es anders machen als Richter. Für Lesungen in der Gruppe 47 gab es den berüchtigten „Eisernen Stuhl“. Der Vortragende fühlte sich auf ihm wie ein Delinquent. Jede Rechtfertigung blieb ihm versagt – er wurde erbarmungslos der kollegialen Kritik ausgeliefert. In der Gruppe 61 sollte das Miteinander und die Augenhöhe des Diskurses den gegenseitigen Respekt sichern.
Reding las nicht oft, was er in einer an Bernhard Boie, den Sekretär der DG61, adressierten Briefkarte erläuterte: Zwar bedauere er, eine Einladung aus Termingründen nicht annehmen zu können, zugleich pochte Reding aber auf kollegiales Verständnis für „die Situation des freien Schriftstellers“. Er könne es sich als „Familienvater“ nicht erlauben, „ein Lesehonorar von 300 – 500 Mark in den Wind schießen zu lassen.“
Reding setzte folglich andere Prioritäten, denn so sehr er auch das Engagement Fritz Hüsers zu schätzen wusste, hatte er doch in Bezug auf eines der Ziele der Treffen der Gruppe 61 einen Vorsprung. Er hatte seinen Stil schon gefunden und war mit seinen Texten erfolgreich. Mit der DG61 knüpfte Hüser an die Arbeiterkulturbewegung der Zwanzigerjahre an, zu der die Arbeiter-Korrespondentenbewegung und neuere Formen der Gemeinsamkeit beim Schreiben zählten. Diese konstruktive Arbeit wollte er weiterschreiben und denen eine Stimme geben, deren literarische Kräfte freischwebend wenig gefördert in dieser Region verdichtet vorkommen mussten. Reding war über diesen Status bereits hinaus.
Wie sich das Kennenlernen und der Austausch über eigene laufende Arbeiten zu lebhaften Gruppentreffen verdichteten, haben sowohl Ausstellung als auch Begleitband zu Fritz Hüsers 100. Geburtstag unter dem Titel Schreibwelten – Erschriebene Welten. Fritz Hüser und die Dortmunder Gruppe 61 bekannt gemacht. Doch auch jenseits der Institution entwickelte sich eine eigene Kulturpraxis: Über das Gruppenleben hinaus erbrachten die Treffen der Gruppe interessante neue Begegnungen, manche Bekanntschaft konnte intensiviert werden. Oft wurden sie zu tragfähigen Freundschaften, die über die Gespräche und Lesungen hinausgingen. Manche dieser Freundschaften zeigen uns aus heutiger Sicht, wo die damaligen Grenzen der Gemeinsamkeiten innerhalb der DG61 lagen. Josef Reding und Erwin Sylvanus etwa. Sie bildeten schon bald ein Freundespaar, besuchten sich gegenseitig, schickten sich ihre Manuskripte und versuchten, den jeweils anderen durch Rezensionen bekannt zu machen. In einem Brief bezeichneten sie sich als die „westfälischen
Freunde“. Forschungen zur Kulturtopographie haben inzwischen ergeben, wie unterschiedlich sich literarische Landschaften entwickelt haben und wie sich mit einer solchen Selbstpositionierung das kulturelle Feld ausdifferenzieren lässt. Dass sich beide „westfälisch“ geben, wenn auch in diesem Fall sozusagen des rhetorischen Effektes willen, lässt doch auch die Grenzen solcher Begriffe wie „Ruhrgebietsliteratur“ oder „Literatur der industriellen Arbeitswelt“ erkennen. Ähnliche Prozesse und Verhaltensrituale finden sich im Blick auf die Kulturgeschichte gerade auch im Kulturdreieck Rhein-Ruhr-Westfalen.
Fragt man nach dem kultursoziologischen Muster, zeigt sich die Nähe zu vergleichbaren Dichterbünden, etwa dem „Bund rheinischer Dichter“ (BrD), der von 1926 bis 1933 weit über 100 Schriftsteller in unterschiedlicher Intensität an sich binden konnte. Zu ihm zählen Autoren, die hier im Umfeld des FHI einen Namen haben, zum Beispiel Josef Winckler, Heinrich Lersch und Adolf von Hatzfeld. Der BrD unter der Federführung von Alfons Paquet hatte besondere Interessen für die Industrieregion, konkret: eine alles umfassende „Rhein-Ruhr-Stadt“ und deren Arbeitswelt. In diesem Sinne liest sich Vieles, was von den Autoren der Gruppe 61 vorgelegt wurde, wie eine Weiterschreibung. Nun aber wirkten die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nach. Gefragt war eine aktualisierte Literatur, die die hypertrophe, futuristisch inspirierte Lyrik eines Heinrich Lerschs oder Josef Wincklers hinter sich gelassen hatte.
Gerade weil es diese ausgeprägte Kulturpraxis in literarischen Gruppen gibt, die gegenseitige Lektüre einzelner Werke und das Bemühen, vice versa Neuerscheinungen in der einschlägigen Presse zu besprechen, können wir unterscheiden zwischen einem internen Diskurs, der stark von Hüsers Professionalität, doch auch von dessen atmosphärischer Dominanz geprägt war, und den sich daraus ergebenden Verbindungen. Auf Reding bezogen fällt die Zuordnung leicht: Seine Stärke lag jenseits der Gruppentreffen, im brieflichen Austausch mit Gruppenmitgliedern und in der medialen und kulturpolitischen Kontextualisierung, zu der er sich berufen fühlte.
Letztlich kam Reding aus einem bürgerlichen Ambiente. Die katholische Prägung hat er nicht verleugnet, im Gegenteil: Als zeitweises Mitglied der Kirchenleitung suchte er die Nähe zur Institution. Deren Bedeutung für die Gegenwart war ihm wichtig. Reding steht auch für die Öffnung der katholischen Kirche in Richtung Befreiungstheologie, die er durch weitere Besuche in Nord- und Südamerika neugierig und emphatisch miterlebt hatte und unterstützte. Das stand nicht im Widerspruch zum Industriemilieu, setzte aber andere Akzente. Anfang der Fünfzigerjahre war er zwar zwei Jahre lang als Betonarbeiter tätig, doch dürfte der Wunsch, sein Überleben zu sichern, wichtiger gewesen sein, als daraus seinen Gewinn für die Literatur der Arbeitswelt zu generieren oder gar eine stabile Identität als Arbeiterdichter zu entwickeln.
Gruppensoziologie, Ästhetik und Kulturpraxis in der Dortmunder Gruppe 61
Reding, unmittelbar beeinflusst von seinem Aufenthalt in den USA, hatte die Kurzgeschichte als literarisches Muster adaptiert. Nun konnte er auch innerhalb der Dortmunder Gruppe 61 mit einem feinen Gespür für angemessenes, gegenwartsrelevantes Schreiben und eine entsprechende Kulturpraxis seine Stimme erheben. Er wurde jenseits der festgelegten Treffen aktiv, verband sich mit arrivierten Kollegen und mit denen, die er als aktive Persönlichkeiten aus dem Kreis schätzte, z. B. Max von der Grün und Wolfgang Körner. Eines der Ergebnisse: Gemeinsam schlugen die drei Autoren das Thema „Schriftsteller und Fernsehen“ vor, wollten es in das Gruppengeschehen einbringen und als Schwerpunktthema für die Sitzungen einbringen. So heißt es im Protokoll des Treffens, dass „Filme von Angehörigen der Gruppe vorgeführt und diskutiert werden“ könnten, „[a]ber auch in Referaten, z. B. von Dramaturgen, die wir zur Tagung einladen, könnten zum Komplex gehörende Themen behandelt werden.“ Eine Einladung hierfür erging an alle teilnehmenden Autoren, soweit sie „Fernsehfilme geschrieben oder Filme mit freien Produktionsgruppen erstellt haben, die sich für diese Veranstaltung eignen“, mit der Bitte, „Filmtitel, Produzenten und technische Daten mitzuteilen, damit die Filme für die Tagung ausgeliehen werden können.“
Mit der Zeit konnte Reding immer mehr zur Anlaufstelle für einzelne Mitglieder werden: Ob sie ihm bei einzelnen Problemen mehr Modernität zutrauten als Fritz Hüser? So hatte sich die Malerin und Schriftstellerin Sigrid Brunk nach einem Treffen in einem Schreiben an Reding kritisch zum Verlauf des Treffens geäußert. Als erfolgreiche Autorin mit realistischer Erzählweise und einer subtilen Frauenproblematik sah sie sich gegenüber der Schriftstellerin Karin Struck benachteiligt und zu Unrecht zurückgesetzt. Strucks auch in der DG61 beachteter Senkrechtstart mit dem beim Suhrkamp-Verlag erschienenen Roman Klassenliebe und den nachfolgenden feministischen Romanen, zum Beispiel Die Mutter, konnte – analog zu Erika Runges Reportagen, die ebensolche literarischen Erfolge feierte, – das natürlich männlich dominierte Thema Industriearbeit bereichern, und so suchte Reding den Ausgleich zwischen Brunk und Struck. In seinem Antwortschreiben an Sigrid Brunk war er bemüht, ihre Ansprüche zu bestätigen, ohne sich zugleich als ewig Gestriger zu outen, den die Vorzüge eines neuen Stils, wie ihn Karin Struck bot, nicht zu begeistern vermochte.
Und auch bei anderer Gelegenheit zeigte sich Redings Verbundenheit zur DG61, sogar ganz offiziell mit Briefkopf – sozusagen von Amts wegen. Im August 1973 als Verteidiger der Gruppe auf. Der Anlass: ein Bericht von Günter Lanser in der Zeitschrift „der literat“ (Nr. 6, 73). Das dort vermittelte kritische Urteil über eine Gruppensitzung entbehrte jeglicher konkreten Erfahrung. Lanser hatte an der Sitzung gar nicht teilgenommen. Hier bezieht Reding Stellung, kanzelt den Schreiber in einer durchaus respektablen Satire rhetorisch gekonnt als unseriös ab.
Dennoch: es war nicht Reding, der das Profil der Gruppe 61 geprägt hat. Doch gerne gewann man ihn für die Außenrepräsentanz. Im April 1971 war er in der Reisegruppe dabei, die auf Einladung des Sowjetischen Schriftstellerverbandes nach Moskau, Kiew und Lemberg gereist war. Max von der Grün, Erwin Sylvanus und Reding fuhren zwar im Auftrag der DG61, man könnte, wollte man die Exkursion kritisch sehen, aber auch von einer Reise gleichgesinnter Freunde sprechen.
Doch Reding fühlte sich mitverantwortlich für die Belange der DG61. Zur Krisensitzung, die Karfreitag 1967 einberufen wurde, nachdem der herausgegebene „Almanach“ mehr Irritationen und Kritik als Anerkennung erbracht hatte, wurde Reding hinzugezogen. Eine Rundfunksendung, die 1968 vom Südwestrundfunk ausgestrahlt wurde, lässt sich als Akt der Solidarität verstehen, die ihn mit Fritz
Hüsers Initiative verbunden hat. Die Sprecher, mit deren Rollen die Sendung zu einer Mischung aus Lesung und Kommentar wurde, dürften sich als Protagonisten der Gruppe verstanden haben. Tonangebend wurden Erwin Sylvanus als Erster Sprecher und Wolfgang Körner als Vermittler der Texte. Es ging insgesamt weniger um eine literaturästhetische Debatte als um die Vorstellung weniger Akteure, die für den Kreis symptomatisch schienen und derer man sich auch versichern wollte: Günter Wallraff, Peter Paul Zahl und Josef Reding.
Es fällt auf, dass Reding der Gruppe post festum mit mehr Engagement zugetan war als in den Anfangsjahren, denn erst zu einem späteren Zeitpunkt versuchte er, der DG61 zu einem nachhaltigen Profil zu verhelfen: Die siebziger Jahre hatten schon längst dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt die hohe Bedeutung zugewiesen, die die DG61 einst hatte. Doch Reding war kein Anhänger der Werkkreisbewegung. Im Januar 1976 tat er sich erneut mit Max von der Grün und Wolfgang Körner zusammen, um den Ruf der Dortmunder Gruppe 61 nachhaltig zu stabilisieren. Klas Ewert Everwyn hatte Reding angeschrieben und vorgeschlagen, mit einer Großveranstaltung auf noch immer existierende DG61 aufmerksam zu machen, und damit den Stein ins Rollen gebracht. Reding antwortete, er sehe sich zwar nicht „in der Funktion eines Sprechers der Gruppe 61“, solange er dem VS in NRW vorstehe, dennoch sei er „zu einer Mitarbeit innerhalb der Gruppe 61 gern bereit“, und empfehle, Fritz Hüser anzusprechen sowie Max von der Grün, „der ja der gewählte Sprecher der Gruppe“ sei, um ihn „zur Wahrnehmung seines Amtes zu bewegen“.
Der Gedanke, öffentlichkeitswirksam und kulturpolitisch aufzutreten, um sowohl über das Werk hinaus zu wirken als auch dem Werk eine optimale Resonanz und entsprechende Einkünfte zu sichern, lag Reding durchaus nahe. So finden wir ihn als Aktiver in der Leitung des Verbandes der Schriftstellerinnen und Schriftsteller NRW. Der Schriftstellerverband, 1969 auf Initiative von Günter Grass, Heinrich Böll und Martin Walser gegründet, hatte in dieser Zeit einen hohen öffentlichen Stellenwert, der auch auf einen – wenn auch nur „stellvertretenden“ – Regionalvorsitzenden durchaus abfärbte. Hinzu kam die Mitgliedschaft im PEN. Solche Mitgliedschaften verstärkten die Position eines Autors wie Reding, für den es bereits die existenzsichernde und schutzgebende Schriftstellerorganisation „DIE KOGGE“ gab. In ihrer Gründungsphase konservativ, dann teils völkisch, nach dem Krieg von Josef Winckler als Sammelbecken übriggebliebener Dichter wiederbelebt, war sie gerade dabei, sich umzuorientieren, ein Prozess, der 1974 mit der Umbenennung in „Europäische Autorenvereinigung DIE KOGGE e.V.“ vorläufig abgeschlossen werden konnte. Im Briefwechsel mit Sylvanus wird deutlich, wie viel Reding an Zeit für diese Zusammenarbeiten und Einmischungen bereitgestellt hatte, und wie oft sie andere anstehende Aufgaben verdrängten. Ihm war bewusst, welche kultursoziologische Bedeutung solche Gruppen haben: Sie sichern die gesellschaftliche Identität des Schriftstellerdaseins und die entsprechende finanzielle Basis, zum Beispiel durch den Schutz von Urheberrechten, vorrangig beim immer wieder zum Streit führenden unentgeltlichen Abdruck von Texten in Schulbüchern.
So lässt sich unsere eingangs gestellte Frage am Ende konkret beantworten: Redings Verdienst für die DG61 ist, wie seine Selbstpositionierung insgesamt, vom Bezugsrahmen Öffentlichkeit her zu denken. Konkret: Er hat sie medial fundiert, nutzte seine eigene literarische Reputation und seine diversen Engagements im Kulturbetrieb, um im damals für die Literatur wichtigsten Medium, dem Rundfunk, über die Gruppe zu berichten.
Über die Autorin:
Gertrude Cepl-Kaufmann war unter anderem Leiterin des Instituts „Moderne im Rheinland“ und Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen die Literatur vom Naturalismus bis zur Gegenwart, Probleme der Literatursoziologie, vor allem der literarischen Gruppenbildung, und Aspekte einer regionalhistorischen, interdisziplinären und komparatistischen Kulturwissenschaft.